Portrait von Dr. Stefan Schmidt-Troschke

Interview "Differenziertes Impfen gefordert"

Gesprächspartner ist Dr. Stefan Schmidt-Troschke, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin

Herr Dr. Schmidt-Troschke, Sie sind Sprecher des Vereins Ärzte für Individuelle Impfentscheidung und damit Veranstalter der „Ersten Nationalen Konferenz für Differenziertes Impfen“, die Anfang Oktober 2010 in Wuppertal stattgefunden hat. Warum und für wen haben Sie diese Konferenz gemacht?

Dr. Schmidt-Troschke: Es ging darum, für Ärzte und Experten ein neues Forum zu schaffen, um offen und vor allem unabhängig miteinander über das Impfen ins Gespräch zu kommen. Welche gesicherten Erkenntnisse gibt es? Was ist auf der anderen Seite (noch) nicht belegt? Über diese und viele verknüpfte Fragen haben wir intensiv mit Ärzten und Experten diskutiert.

Welche Erwartungen an die Konferenz haben sich erfüllt? Welche eher nicht?

Schmidt-Troschke: Wir waren sehr froh, dass wir namhafte Experten auch aus der etablierten (Pro-)Impfszene in Deutschland gewinnen konnten, zum Beispiel ein Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) und einen namhaften Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens. Beide haben sich klar pro Impfen positioniert – aber mit beiden konnte auch ein sehr fruchtbarer Dialog angestoßen werden. Positiv war auch, dass die 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur aus dem komplementärmedizinischen Umfeld kamen, sondern ebenso aus konventionell-medizinischen Zusammenhängen. Die Anthroposophische Medizin war übrigens – grob geschätzt – mit rund 30 bis 40 Prozent der Teilenehmenden vertreten. Insgesamt hätten wir uns natürlich gewünscht, dass die Resonanz bei der Ärzteschaft noch größer gewesen wäre, obwohl 120 Teilnehmer für den Anfang gar nicht schlecht sind.

Die Konferenz forderte das „Differenzierte Impfen“ – was verstehen Sie darunter?

Schmidt-Troschke: Das „differenzierte Impfen“ zielt vor allem auf die ärztliche Beratung ab, um gemeinsam mit den Eltern sorgfältig Pro und Contra einer Impfung abzuwägen. Das kann zum Beispiel auch bedeuten, dass sich die Eltern entgegen der Empfehlung des Arztes oder der STIKO entscheiden und auch in dieser Situation ärztlich begleitet sein möchten.

Bei der Konferenz ging es darum, dass sich Impfbefürworter und Impfkritiker konstruktiv austauschen. Wie ist der Dialog gelungen?

Schmidt-Troschke: Weitgehend positiv! Vom Vertreter der STIKO haben wir zum Beispiel eine sehr gute Rückmeldung bekommen. Man war nämlich doch sehr erstaunt darüber, mit wie viel Kompetenz auf impfkritischer Seite argumentiert wurde. Da konnten wir wichtige Anregungen vermitteln, die für die STIKO in dieser Form neu waren. Als Fazit wünscht sich auch die STIKO dringend einen weiteren Dialog zwischen den verschiedenen Positionen und möchte den Austausch gern fortsetzen.

Auch wenn mit dem Kongress in erster Linie Ärzte angesprochen wurden – was ist die Botschaft für die Patientinnen und Patienten?

Schmidt-Troschke: Wir möchten den Patientinnen und Patienten dringend zu mehr Selbstbewusstsein bei einer Impfentscheidung raten! Da wir auf die Patienten als Ärzte-Organisation natürlich nur indirekt einwirken können, möchten wir zunächst Ärzte und Experten dazu aufrufen, die vorhandenen Empfehlungen kritisch zu hinterfragen und sich stärker als bisher um möglichst neutrale Informationen zum Impfen zu bemühen. Dadurch können Ärztinnen und Ärzte nämlich auch selber im Umgang mit diesem manchmal etwas sperrigen Thema sicherer werden. Eine differenzierte Impfberatung ist etwas völlig Legitimes und gehört zu einer wirklich patientenorientierten Betreuung!

Impfungen sollen Krankheiten verhüten. Werden wir dadurch gesünder?

Schmidt-Troschke: Um eines ganz klar zu stellen: Impfungen können ergänzend sinnvoll sein, um bestimmten lebensbedrohlichen Krankheiten vorzubeugen. Allerdings sind die wirksamsten Präventionsmaßnahmen gegen ansteckende und lebensbedrohliche Krankheiten weltweit menschenwürdige Lebensverhältnisse, Gesundheitserziehung und der Zugang zu Bildung, zu gesunden Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser. Im Unterschied zu diesen aktiven Ansätzen der Gesundheitsförderung handelt es sich bei „Schutz“-Impfungen um Defensiv-Maßnahmen. Schutzimpfungen müssen sich dem Vergleich mit anderen Formen der Krankheitsvorsorge und -verhütung stellen, denen angesichts begrenzter Ressourcen in nationalen Gesundheitssystemen durch teure Impfprogramme Mittel entzogen werden.

Wie geht es weiter? Was ist jetzt zu tun?

Schmidt-Troschke: Als Ergebnis der Konferenz haben wir die wichtigsten Botschaften und Forderungen in unserem „Wuppertaler Manifest“ zusammengefasst, das wir in ärztlichen und gesundheitspolitischen Kreisen möglichst breit streuen möchten. Zur weiteren Planung: Die Idee zu unserer Konferenz ist ja als Reaktion auf die Erste Nationale Impfkonferenz im Frühjahr 2009, die deutlich pro Impfen ausgerichtet war, entstanden. Mit unserer Konferenz für Differenziertes Impfen wollten und wollen wir den impfkritischen Stimmen, die auf der Nationalen Impfkonferenz kaum zu Wort gekommen sind, eine Plattform geben, um den Dialog zwischen Impfbefürwortern und Impfkritikern zu stärken. 2011 wird es wieder eine Nationale Impfkonferenz geben – allerdings sind wir mit unserer kritischen Perspektive im kommenden Jahr nicht eingeladen. Ich befürchte fast, dass man dort zwar über uns, aber nicht mit uns reden wird. Das möchten wir mit unserer Konferenz anders machen, so dass wir es uns sehr gut vorstellen können, alle zwei Jahre eine entsprechende Konferenz zu veranstalten.

Herr Dr. Schmidt-Troschke, vielen Dank für dieses Gespräch!

 

November 2010