Für mich ist Musik der direkte Weg zur Seele. Diese Erfahrung mache ich Woche für Woche bei der Musiktherapie. Als Musiktherapeut arbeite ich überwiegend mit erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigung und Assistenzbedarf in einer großen, anthroposophischen Werkstatt, der LebensWerkGemeinschaft gGmbh in Berlin.
Manche unserer Betreuten tun sich schwer in einem stark strukturierten und leistungsorientierten Arbeitsumfeld. Persönliche Kontakte kommen oft zu kurz, weil im Produktionsprozess dafür kein Platz und keine Zeit sind. Umso wohltuender ist die Möglichkeit für viele, sich einmal die Woche für ein paar Stunden aus dem Funktionieren müssen – Beeinträchtigung hin oder her – herausnehmen zu dürfen, sei es mit Malen, Eurythmie oder eben mit dem Musikmachen.
Sie nutzen diese Räume zum wieder Auftanken, zur Ruhe kommen, mal nichts leisten müssen oder für Gespräche untereinander. Besonders die, die sich nicht oder nur sehr eingeschränkt verbal äußern können, finden in der Musik eine Möglichkeit mit anderen und sich selbst auf nonverbale Art zu kommunizieren und ihren seelischen Regungen freien Lauf zu lassen.
Dabei ist es nicht wichtig, ob jemand ein Instrument spielen „kann“ oder eben nicht, ob jemand singen kann oder meint, es nicht zu können und auch die Art und Weise der jeweiligen Beeinträchtigung spielt überhaupt keine Rolle. Wichtig sind nur die Klangerzeugung, der Rhythmus -vor allem der gemeinsame Rhythmus- und die für genau diesen Moment entstehende und erlebbar werdende Musik.
Die Seele muss atmen können, auch oder gerade erst recht im industriellen Arbeitsprozess. Da ist es nur klug, den Menschen Kunsttherapie anzubieten, denn die so gepflegte Seele sorgt dafür, dass auch der Körper und der Geist wieder produktiv werden können. Somit kommen unsere Therapieformen indirekt auch wiederum der Produktivität des gesamten Betriebes zugute.
In unserem immer durchstrukturierteren Zusammenleben, in dem es auch ohne „Digitalisierung“ nicht mehr zu gehen scheint, empfinden meine Klientinnen und Klienten und ich es als äußerst angenehm und wohltuend, auf eine ganz analoge und althergebrachte Weise akustische Ereignisse entstehen zu lassen, ihnen nachzuhören, nachzufühlen, bevor der Takt und die Geräusche der Arbeitsmaschinen wieder das Zepter übernehmen, bis zum Feierabend.
Borwin Kohnert-Salinas ist Musiker, Klangtherapeut und anthroposophischer Musiktherapeut aus Berlin.