Ich habe mich gefreut, dass ich gefragt wurde, diesen Text zu schreiben, liebe Leser*innen. Gerade verabschiede ich mich aus dem aktiven Berufsleben als Leiter der Beratungs- und Geschäftsstelle von Anthropoi Selbsthilfe – Bundesvereinigung Selbsthilfe im anthroposophischen Sozialwesen e.V.
Ich bin Bruder einer Frau mit Assistenzbedarf, die in der Camphill Dorfgemeinschaft Lehenhof am Bodensee lebt. Schon immer war es mir ein Anliegen, dass Menschen mit Assistenzbedarf nicht nur ein gutes Leben haben, sondern auch möglichst viele Dinge selbst entscheiden und tun können sollen, wozu es eines Empowerments bedarf. Deshalb hatte ich mich schon seit den 90er Jahren engagiert in einer freien Initiativgruppe für europäische Kongresse „In der Begegnung leben“. 1998 war so ein Kongress ein absolutes Novum: Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen Sprachen kommen zusammen, wie es sonst damals nur für Fachleute üblich war. Er war so erfolgreich, dass weitere Kongresse in verschiedenen Städten Europas folgten.
Dadurch konnte ich viele Kontakte knüpfen, lernte auch Anthropoi Selbsthilfe kennen als bundesweite Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Assistenzbedarf und ihren Angehörigen und kam dann vor gut 20 Jahren im damals neuen Büro in Berlin zu meinem Arbeitsplatz mit vielfältigsten Aufgaben und Herausforderungen.
Trotz der Zusammenhänge in den medizinischen Bereich hinein ist es immer wieder wichtig, deutlich zu machen, dass Behinderungen per se keine Krankheiten sind, egal ob es sich um eine Körper-, Sinnes- oder intellektuelle Einschränkung handelt. Auch wenn es oft „begleitend“ Krankheiten gibt. Im persönlichen Gespräch oder in Konferenzen finde ich vor allem drei Dinge wichtig:
• Die Augenhöhe beachten – wir sind alle Menschen mit großer Vielfalt an Eigenheiten,
• gut verständliche Sprache benutzen
• und ausreichend Zeit nehmen – oft der schwierigste Punkt.
Im langjährigen Projekt mittelpunkt-Schreibwerkstätten von Anthropoi Selbsthilfe schreiben Menschen mit Assistenzbedarf kleine Texte oder Gedichte zu verschiedensten Themen. Dies führt immer wieder zu Erstaunen, welche Gedanken zu Papier gebracht werden, den persönlichen Alltag oder die eigenen Wünsche betreffend, aber auch zu großen gesellschaftlichen Fragestellungen wie zu Klima und Ökologie.
Aktuell feiern wir das 100-jährige Jubiläum des Heilpädagogischen Kurses von Rudolf Steiner. Anfang Oktober macht sich nun der bisherige Bereich der Heilpädagogik und Sozialtherapie der Medizinischen Sektion am Goetheanum selbstständig und wird zur eigenen „Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung“. Für das kommende Jahr stecken wir in den Vorbereitungen für das Steiner-Festjahr 2025. Es zeigt sich immer wieder, wie gut und lohnenswert die gute Zusammenarbeit zwischen den Organisationen und Verbänden der Anthroposophie ist.
Alfred Leuthold, Berlin. Botschafter für Inklusion.
» Anthropoi Selbsthilfe – Bundesvereinigung Selbsthilfe im anthroposophischen Sozialwesen e.V.