Porträt Helge Neuwerk

Interview: "Unterstützen, nicht bevormunden"

Gesprächspartner: Helge Neuwerk, Stellvertretender Vorstand BKK VBU

Die BKK VBU setzt sich aktiv für die Komplementärmedizin und speziell für die Anthroposophische Medizin ein. Welchen Spielraum haben Sie?

Helge Neuwerk: Unser Spielraum ist gar nicht so begrenzt. Homöopathie, Phytotherapie und Anthroposophische Medizin sind als besondere Therapierichtungen im SGB V fest verankert. Das ist eine sehr gute Ausgangsbasis – und für uns als Kasse der rote Faden. Insofern ist es immens wichtig, dass die besonderen Therapierichtungen hier eingeflossen sind. Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, dass wir uns daran schon so sehr gewöhnt haben, dass wir gar nicht mehr sehen, wie wertvoll diese gesetzliche Verankerung ist – auch gegenüber manchen Kritikern. Denn der Gesetzgeber hat sich dabei ja etwas gedacht. Das kann man meiner Meinung nach in die teils hitzige Debatte rund um die besonderen Therapierichtungen ruhig öfter einfließen lassen.

Schöpfen Sie Ihre Möglichkeiten als Krankenkasse voll aus?

Helge Neuwerk: Wir haben uns ganz bewusst für die Komplementärmedizin entschieden und nutzen unsere Möglichkeiten: Zum einen in der Erstattung von Arzneimitteln als Satzungsleistungen und zum anderen durch die Teilnahme am Vertrag zur Integrierten Versorgung mit Anthroposophischer Medizin. Wir stehen dazu, dass wir eine Medizin fördern wollen, die ergänzend zur Schulmedizin noch andere Verfahren oder Arzneimittel einsetzen kann. Auch der Anspruch, sich Zeit zu nehmen für die Patienten, verdient unsere Unterstützung.

Wie sehr betrifft Sie die Homöopathie-Kritik?

Helge Neuwerk: Wir haben da eine ganz klare Haltung – mit der wir uns auch in der Debatte immer wieder zu Wort melden: Wir schreiben den Leuten nicht vor, was ihnen gut tut. Oder was sie gesund macht. Unser Auftragt ist doch nicht, die Menschen zu bevormunden. Das sagen wir auch ganz deutlich. Wir stehen zu dem, was wir tun. Da passt es für uns natürlich gut, dass wir bei den ergänzenden Therapien auch tatsächlich überdurchschnittlich viel leisten. Außerdem argumentieren wir damit, dass es eine gesetzliche Basis gibt, auf der wir aktiv werden.

Welche Rückmeldung bekommen Sie von den Patienten?

Helge Neuwerk: Unsere Versicherten schätzen das Sowohl-als-auch, für das wir stehen. Sie sagen: Ja, gerne Schulmedizin, darauf verlasse ich mich – aber ich will trotzdem noch etwas für mich selbst tun, ich will für meine Gesundheit selbst aktiv werden können. Ein Klassiker: Nachts um drei hat das Kind Ohrenschmerzen. Da sind für viele Globuli im Schrank schon eine gute Lösung – vom guten alten Zwiebelsäckchen mal ganz abgesehen. Oder auf dem Fußballplatz geht es hoch her – da kann Arnika eine Option sein. Das sehen unsere Versicherten ganz pragmatisch, homöopathische oder anthroposophische Mittel unterstützen sie einfach dabei, auf die von ihnen gewünschte Weise schnell wieder handlungsfähig zu werden.

Viele Kassen setzen eher aus Marketing-Gründen auf Homöopathie & Co. Wie stehen Sie dazu?

Helge Neuwerk: Ja, das spielt immer wieder eine Rolle. Aber die Nachfrage ist ja da! Und ist in den letzten Jahren 20 Jahren auch deutlich gestiegen. Beispiel Osteopathie: Das kannte vor zehn Jahren noch keiner, heute ist die Nachfrage riesig. Alleine bei den Millionen Patienten, die Rückenbeschwerden haben, wollen es viele erst einmal mit Osteopathie versuchen, bevor sie sich unters Messer legen. Dass es dabei auch Kassen gibt, die kräftig die Werbetrommel rühren, aber bei genauerem Hinsehen eher weniger erstatten, damit muss man leben. Patienten sollten einfach genau hinschauen, was wirklich geboten wird.

Wie reagieren die Patienten auf die Integrierte Versorgung mit Anthroposophischer Medizin?

Helge Neuwerk: Sehr gut! Die anthroposophischen Therapien und die Behandlung beim anthroposophischen Arzt werden stark nachgefragt. Wir haben 2014 wirklich klein begonnen. In den folgenden Jahren haben sich immer mehr Menschen in den Vertrag eingeschrieben. Manche sind auch extra deswegen von anderen Kassen zu uns gewechselt. Wir wissen, dass gerade die Versicherten, die sich für die Anthroposophische Medizin interessieren, ein großes Interesse haben, mit ihrer Gesundheit verantwortungsvoll umzugehen. Und das wollen wir natürlich gerne unterstützen.

Stimmen bei der Integrierten Versorgung Angebot und Nachfrage?

Helge Neuwerk: Auf der Seite der Patienten auf alle Fälle. Bei den Ärzten ist noch Luft nach oben. Wir haben regional eine starke Konzentration, vor allem in Baden-Württemberg und dann als nächstes interessanterweise in Sachsen. Berlin ist auch ganz gut aufgestellt. Aber in den anderen Bundesländern sieht es teilweise noch sehr mager aus. Wenn wir mit anthroposophischen Ärzten, die (noch) nicht teilnehmen, ins Gespräch kommen, hören wir als häufigstes Argument, dass die Teilnahme mit viel Bürokratie verbunden wäre. Unser Eindruck ist, dass vielleicht noch ein weiteres Hindernis bei den Ärzten dazukommt: nämlich die unbegründete Sorge, durch den Vertrag in der Therapiefreiheit eingeschränkt zu sein und nur bürokratischen Vorgaben folgen zu müssen.

Wie lässt sich das entkräften?

Helge Neuwerk: Ja, die Integrierte Versorgung verlangt einiges an Papierkram. Aber ganz ohne geht es eben leider nicht. Dafür bekommen Ärzte und Patienten ja aber auch etwas: Ärzte werden für die Anamnese angemessen honoriert, die sonst eben nicht von der Kasse übernommen werden würde. Ärzte können diese Kosten mit der Integrierten Versorgung außerhalb ihres Budgets abrechnen. Sie können Therapien verschreiben, die sich manche Patienten sonst nicht leisten könnten. Auch die Therapeuten profitieren, da die Therapien über die Versichertenkarte direkt von der Kasse übernommen werden. Und dass die Patienten profitieren, ist ja sowieso klar. Wir sehen also eigentlich nur Gewinner. Das würden wir gerne ausbauen!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Oktober 2018