Mehr Forschungsförderung für die Komplementärmedizin gefordert

Rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zu den 6. Komplementärmedizinischen Gesprächen nach Berlin, um mit den Experten aus Praxis und Wissenschaft sowie mit der Politik über den Status quo und über Chancen und Herausforderungen der Forschung in der Komplementärmedizin zu diskutieren. Eingeladen zu dem Gespräch hatten der Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD) und die Hufelandgesellschaft (Dachverband der Ärztegesellschaften für Naturheilverfahren und Komplementärmedizin).

Zur Begrüßung skizzierte Dr. Alfred Längler (Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, Vorstandsmitglied DAMiD) noch einmal das Dilemma: Obwohl inzwischen bekannt ist, dass die komplementärmedizinische Praxis die öffentliche Forschung längst überholt hat, ändert sich nichts. Die Forderung nach öffentlicher Forschungsförderung verhallt seit Jahren ungehört. Deshalb will die Veranstaltung neue Impulse geben, um mögliche Lösungsvorschläge auch und gerade mit der Politik zu diskutieren.

Im ersten Impulsvortrag stellte Prof. Dr. Benno Brinkhaus (Charité) die Bedingungen moderner klinischer Forschung vor und schilderte die schwierige Lage für die komplementärmedizinische Forschung in Deutschland: Alle komplementärmedizinischen Professuren sind privat finanzierte Stiftungsprofessuren; bis auf eine Ausnahme gibt es keine öffentliche Forschungsförderung (ACUSAR, DFG-gefördert); auch die rechtlichen Bedingungen werden immer komplizierter. Problematisch sei außerdem die Besetzung der Gremien, die über Forschungsanträge entscheiden, da dort die Vertreter der konventionellen Medizin dominieren und Vertreter der Komplementärmedizin keine Rolle spielen.

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Bild 1: Prof. Dr. Benno Brinkhaus, Prof. Dr. Andreas Michalsen und Prof. Dr. Peter Heusser (v.l.n.r.) in der Diskussion bei den 6. Komplementärmedizinischen Gesprächen.
Fotograf: Jan Sterz

Danach kam der Praxisalltag zu Wort: PD Dr. Stefanie Joos (Universitätsklinik Heidelberg) schilderte in ihrem Beitrag Ansätze für die Erforschung der Komplementärmedizin im hausärztlichen Setting. Gerade in der hausärztlichen Praxis können komplementärmedizinische Verfahren gut eingesetzt werden. Dementsprechend hat sich die Zahl der komplementärmedizinischen Zusatzbezeichnungen bei den Hausärzten seit 1993 verdreifacht: "Die Komplementärmedizin ist aus der hausärztlichen Praxis nicht mehr wegzudenken". Für die Forschung ergeben sich daraus echte Chancen: "Forschung muss dort geschehen, wo behandelt wird, das Erfahrungswissen der Ärzte sollte unbedingt berücksichtigt werden und auch der Kontext - Beispiel enge Arzt-Patienten-Beziehung - muss einbezogen werden." Gestärkt werden müsse auf alle Fälle auch der Transfer von Forschung in die Praxis, zum Beispiel über die Arbeit an Leitlinien etc.

Als Beispiel für gelungene Versorgungsforschung im komplementärmedizinischen Bereich stellte Dr. Friedemann Schad (Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe) Ergebnisse für das Netzwerk Onkologie vor und wies auf das enorme Potenzial der Komplementärmedizin bei einer so komplexen Erkrankung wie Krebs hin. Im abschließenden Vortrag von Prof. Dr. Peter Heusser (Universität Witten/Herdecke) wurde noch einmal die besondere Stellung Deutschlands betont: "Die Komplementärmedizin, zumindest die Homöopathie, die Anthroposophische Medizin sowie die Naturheilkunde, gehört traditionell nach Deutschland. Das muss sich auch in der Forschung abbilden." Momentan spiele der Standort Deutschland im internationalen Vergleich allerdings keine Rolle. Mit den Programmen, die zum Beispiel die USA auflegen (jährliche öffentliche Forschungsförderung von rund 300 Millionen Dollar) könnten Deutschland und auch Europa (auf EU-Ebene laufen lediglich zwei Forschungsprojekte) nicht im Ansatz mithalten. Dabei seien entsprechende Strukturen in der medizinischen Versorgung da: "Daraus lässt sich für die Forschung sehr gut aufbauen."

Im zweiten Teil der Veranstaltung ging es im Austausch mit der Politik darum, mögliche Lösungen zu konkretisieren. Unter der Moderation von Marion Caspers-Merk, Staatssekretärin a.D. und Präsidentin des Kneipp-Bundes, stellten sich die Forschungspolitiker der Diskussion. Schnell wurde deutlich, dass die Komplementärmedizin im politischen Bewusstsein zu Forschungsfragen bisher wenig verankert ist. Das änderte sich allerdings im Verlauf der Diskussion: Über die Parteigrenzen hinweg zeigten sich die Politikerinnen und Politiker sehr interessiert. Von Dr. Peter Röhlinger (FDP) gab es das konkrete Angebot, im Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie im Forschungsausschuss des Bundestages Gespräche über Forschungsförderungen zu führen. Ein Angebot, das die Komplementärmedizin gerne annimmt, um die komplementärmedizinische Perspektive zu verdeutlichen.

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Bild 2: Petra Sitte (Die Linke), Dr. Peter Röhlinger (FDP), Marion Caspers Merk (Moderation), René Röspel (SPD) und Biggi Bender (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Podiumsdiskussion der 6. Komplementärmedizinischen Gespräche.Fotograf: Jan Sterz

Intensiv wurde außerdem die Möglichkeit diskutiert, die Komplementärmedizin in den neuen Bereich Versorgungsforschung zu integrieren. Der forschungspolitische Sprecher der SPD, René Röspel, sprach sich gegen eine spezielle Förderung für die Komplementärmedizin aus und warb für eine indikationsbezogene Forschungsförderung. Dem widersprach Biggi Bender, gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, die die Komplementärmedizin gezielt fördern möchte: "Wenn's nach uns ginge, würden wir ein spezifisches Forschungsprogramm haben". Pragmatisch zeigte sich Petra Sitte, forschungspolitische Sprecherin der Linken: "Auch in der Politik wird nachfrageorientiert gearbeitet. Das gilt auch für die Förderung zur Erforschung der Komplementärmedizin."

Das Fazit der konstruktiven Debatte: Die Veranstaltung hat deutlich dazu beigetragen, die Politik für die Belange der komplementärmedizinischen Forschung zu sensibilisieren. Das zeigte ein erster Erfolg bereits am Tag nach der Veranstaltung: René Röspel, Dr. Peter Röhlinger, Biggi Bender und Die Linke haben ihre gestrige Ankündigung wahrgemacht und die Perspektive der Komplementärmedizin erstmalig in die Beratung zum "Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung" eingebracht. Darauf wird sich gut aufbauen lassen.

Pressekontakte:

Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD)
Natascha Hövener, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon 030-28 87 70 94, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Hufelandgesellschaft
Christina Lobenberg, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon 030-28 09 93 20, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Der DAMiD repräsentiert die Anthroposophische Medizin in allen gesellschaftlichen Bereichen des deutschen Gesundheitswesens. Als Dachorganisation vertritt der Verband die übergeordneten Belange und Interessen seiner 17 Mitglieder. Mitgliedsorganisationen sind Berufs- und Patientenverbände, Klinikverband, gemeinnützige Altenhilfe, Behindertenhilfe sowie Hersteller Anthroposophischer Arzneimittel.