Prof. Dr. David Martin, als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin haben Sie viel Erfahrung mit dem Thema Fieber. Viele Eltern meinen, dass hohes Fieber für ein Kind gefährlich ist. Was ist da dran?

Prof. Martin: Jedes Kind bekommt ab und an Fieber. Weit verbreitet ist die Angst davor, dass das Fieber dem Kind schaden könnte. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Fieber ist eine gesunde Reaktion des Körpers. Heute gehen wir davon aus, dass sich ein Kind mit Fieber besser gegen eine Erkrankung schützen kann, da das Fieber die Immunabwehr gegen Bakterien verbessert. Es liegt auch an uns Kinderärzten, den Eltern ihre Ängste zu nehmen. Im Übrigen wirken auch Antibiotika bei fieberhaften Temperaturen besser.

Was ist Fieber überhaupt – eine Krankheit?

Prof. Martin: Fieber selbst ist keine Krankheit. Es ist eine Reaktion des Körpers, um Infektionen bzw. die Erreger zu bekämpfen. Dementsprechend sollte es auch nicht unterdrückt werden. Medizinisch wird Fieber als eine Zunahme der Körpertemperatur auf über 38,5 °C definiert. Fieber steigt selten über 41,7 °C. Temperaturen über 42,2 °C sind extrem selten.

Kurz und knapp: Muss Fieber gesenkt werden?

Prof. Martin: Nein, in der Regel nicht. Denn inzwischen besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass eine fieberhafte Reaktion des Körpers vorteilhaft für den weiteren Heilungsverlauf ist. Gibt man hingegen fiebersenkende Medikamente, greifen wir in diese natürliche körpereigene Reaktion künstlich ein. 

Fieber ist eine gesunde Reaktion des Körpers. Heute gehen wir davon aus, dass sich ein Kind mit Fieber besser gegen eine Erkrankung schützen kann, da das Fieber die Immunabwehr gegen Bakterien verbessert. 

Was können Eltern tun, wenn sie merken, dass ihr Kind Fieber bekommt?

Prof. Martin: Ich rate allen Eltern: Entspannen Sie sich! Versuchen Sie, das Fieber positiv zu sehen, als einen Freund, der unserem Körper hilft, Infektionen zu bekämpfen. Schließen Sie aus, dass Ihr Kind Symptome hat, mit denen Sie zum Kinderarzt müssen. Lassen Sie Ihr Kind nicht alleine.

Wie sollte man den Temperaturanstieg begleiten?

Prof. Martin: Sie können Ihr Kind unterstützen, indem Sie es in der Phase des Temperaturanstiegs warm halten. Ihr Kind benötigt dann weniger Energie, um das Fieber zu erzeugen und wird weniger Schüttelfrost oder andere Beschwerden haben. Manchmal kann man damit sogar Fieberkrämpfe verhindern. Legen Sie das Kind in ein warmes Bett, decken Sie es gut zu, geben ihm ein gewärmtes Kirschkernkissen und etwas Warmes zu trinken, bis die Hände und Füße warm sind und sich das Kind nicht mehr kalt fühlt. Einige Kinder fühlen sich beim Fieberanstieg sehr unwohl und brauchen viel Trost.

Und wenn das Fieber da ist? Was können Eltern tun?

Prof. Martin: Lassen Sie das Fieber seine Arbeit tun! Denken Sie immer daran: Die Temperatur selbst ist nicht die Gefahr, die potentielle Gefahr ist die zugrundeliegende Krankheit, auf die das Kind mit Fieber reagiert. Sobald Sie und/oder Ihr Arzt sichergestellt haben, dass das Kind nichts Gefährliches hat, können Sie sich darauf konzentrieren, das Kind in aller Ruhe zu begleiten. Und bedenken Sie: Es gibt keine Höchsttemperatur, ab der bei ansonsten gesunden Kindern fiebersenkende Mittel (Antipyretika) gegeben werden müssen.
Die meisten Kinder können auch hohe Temperaturen gut wegstecken, wenn sie sich sicher aufgehoben fühlen. Es dauert in der Regel ein bis zwei Stunden, um die „Zieltemperatur“ des Fiebers zu erreichen. Diese Temperatur kann dann einige Stunden anhalten, bevor sie wieder abnimmt. Normalerweise erhöht sich das Fieber am Abend und ist am nächsten Morgen niedriger. Dieser Zyklus des abendlichen Fieberns kann sich mehrere Tage lang wiederholen.

Was tun, wenn es dem Kind schlecht geht?

Prof. Martin: Wenn das Kind unter der Wärme sehr leidet, können Sie versuchen, zum Beispiel dünne Zitronenscheiben auf die Fußsohlen zu legen. Oder sie machen die klassischen Wadenwickel: Aber Achtung! Viele Eltern verwenden kalte feuchte Tücher, was für das Kind sehr unangenehm ist. Nehmen Sie lieber feuchte warme Tücher.
Wenn das Plateau des Fiebers erreicht ist, können Sie kleine Schlucke Flüssigkeit anbieten. Wenn das Kind schwitzt und sich am ganzen Körper, auch an den Füßen, warm anfühlt, können Sie es etwas dünner anziehen oder mit einer leichteren Decke zudecken. Sobald das Fieber etwas nachgelassen hat, wird das Kind mehr trinken wollen (z. B. warme Getränke wie milder Thymian-, Holunderblüten- oder Kamillentee) oder sogar leichte Lebensmittel wie eine dünne Suppe haben möchten.

Wann müssen Eltern einen Arzt aufsuchen?

Prof. Martin: Wie gesagt, Fieber selbst ist nicht gefährlich, aber die zugrundeliegende Krankheit könnte es sein. Es gibt einige Anzeichen, die Sie kennen sollten, um zu entscheiden, ob Sie mit Ihrem Kind zum Arzt müssen:

  • Alle Kinder unter 6 Monaten mit Fieber sollten am selben Tag von einem Arzt gesehen werden – es sei denn, die Eltern können ein solides Urteil fällen, dass ihr Kind nicht in Gefahr ist.
  • Rufen Sie einen Arzt, wenn Ihr Kind nicht wie sonst reagiert, apathisch ist oder sehr „komisch“ wirkt. Auch wenn es sich nicht trösten lässt, nicht aufhört zu weinen oder wenn Sie sonst ein ungutes Gefühl haben. Rufen Sie auch einen Arzt, wenn Ihr Kind sehr krank oder schlaff wirkt, einen steifen Hals hat oder länger als sechs Stunden nichts trinkt.
  • Wenn Sie auf der sicheren Seite sein wollen, rufen Sie einen Arzt, wenn das Fieber länger als zwei Tage andauert und es Ihrem Kind nicht besser geht. Hält das Fieber länger als drei Tage lang an, sollte unter anderem der Urin untersucht werden, um einen Harnwegsinfekt auszuschließen.

Kann es denn auch schaden, das Fieber zu senken?

Prof. Martin: Wenn man das Fieber kontrolliert, also senkt, können dadurch mögliche wichtige Symptome der zugrundeliegenden Krankheiten übersehen oder falsch interpretiert werden. Deshalb kann es sogar schädlich sein, das Fieber zu senken.

Wenn man nun doch fiebersenkende Mittel geben möchte – was sollte man beachten?

Prof. Martin: Wenn es trotz der diversen Nachteile ein fiebersenkendes Mittel sein soll, können Mittel eingesetzt werden. Nach einem Antipyretikum fühlt sich das Kind vorübergehend vielleicht weniger krank. Nach etwa sechs bis acht Stunden lässt die Wirkung des Medikaments nach: das Fieber steigt wieder und das Allgemeinbefinden verschlechtert sich. Dieses Auf- und Absteigen der Temperatur ist normal, da der natürliche Fieberverlauf unterbrochen wird. 

Zum Glück sind einfache Fieberkrämpfe nicht gefährlich, auch wenn sie natürlich erst einmal sehr erschreckend sein können.

Muss Fieber mit Antibiotika behandelt werden?

Prof. Martin: Nein. Antibiotika sind Medikamente, die Bakterien angreifen. Fieberhafte Infektionen sind jedoch viel häufiger durch Viren verursacht, so dass Antibiotika in diesem Fall sowieso nicht wirken. 

Wie behandelt man Fieberkrämpfe am besten?

Prof. Martin: Sehr viele Eltern fürchten sich vor Fieberkrämpfen, die in der Praxis allerdings eher selten sind. Nur etwa 5 Prozent aller Kinder zwischen 6 Monaten und 6 Jahren neigen zu Fieberkrämpfen. Ganz vermeiden kann man sie nicht. Denn inzwischen haben verschiedene Studien gezeigt, dass Fieberkrämpfe auch mit fiebersenkenden Mitteln nicht zu verhindern sind. Zum Glück sind einfache Fieberkrämpfe nicht gefährlich, auch wenn sie natürlich erst einmal sehr erschreckend sein können.

Wo kann man sich über die wissenschaftlichen Hintergründe des Fiebers informieren?

Prof. Martin: Die wichtigsten aktuellen Forschungsergebnisse sind in dieser » Übersicht zusammengefasst. Und auf Facebook gibt es den Account » Warm up to Fever - dort finden Sie Publikationen und Literaturangaben zu den hier gestellten Fragen.

Vielen Dank für das Gespräch, Professor Martin!

David Martinüber Prof. Dr. David Martin

Prof. Dr. David Martin ist Facharzt für Pädiatrie, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Diabetologie und Endokrinologie. Zurzeit ist der Oberarzt an der anthroposophischen Filderklinik bei Stuttgart. Außerdem ist er Inhaber des Lehrstuhls für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin an der Universität Witten/Herdecke.