Die GAÄD blickt kritisch auf ihre Geschichte im Nationalsozialismus

Oktober 2025: Die Gesellschaft Anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte in Deutschland (GAÄD) bekennt sich zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus. „Wir verneigen uns vor den Opfern des Nationalsozialismus. Ihr Leid, ihre Entrechtung und Ermordung sind uns bleibende Mahnung und Verpflichtung“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der GAÄD.

Bereits 2016 beauftragte die GAÄD den Historiker Peter Selg und sein Team mit einer umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung zur Geschichte der Anthroposophischen Medizin im Nationalsozialismus. Die Arbeiten werden von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet, dem die Medizinhistoriker Prof. Dr. Thomas Beddies und Prof. Dr. Peter Schmiedebach angehören.

Wissenschaftliche Aufarbeitung in mehreren Bänden

Die Forschungsergebnisse erscheinen in einer mehrbändigen Publikationsreihe beim Schwabe Verlag (Basel/Berlin):

  • Der erste Band (Anthroposophie und Nationalsozialismus. Die anthroposophische Ärzteschaft, 2024) widmet sich der Rolle anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte zwischen 1933 und 1945.
  • Der zweite Band (Weleda und WALA – die anthroposophischen Arzneimittelfirmen 1933–1945, 2025) untersucht die Geschichte der anthroposophischen Pharmazie, insbesondere von Weleda und WALA.
  • Ein dritter Band zur Heilpädagogik im Nationalsozialismus ist in Vorbereitung.

Ein differenziertes Bild

Die bisherigen Forschungen zeichnen ein vielschichtiges Bild: Es gab sowohl Ärztinnen und Ärzte, die Distanz zum Regime hielten, als auch Fälle von Anpassung und Opportunismus. Rund 90 Prozent der anthroposophischen Ärztinnen und Ärzte waren keine NSDAP-Mitglieder – ein deutlich geringerer Anteil als im Durchschnitt der Gesamtärzteschaft. Doch diese Zahl darf, so betont die GAÄD, nicht als Entlastung verstanden werden. Sie verweist vielmehr auf eine widersprüchliche Haltung, die auch Mitverantwortung einschließt.

Selbstreflexion als ärztliche Haltung

Die GAÄD betrachtet die historische Aufarbeitung als kontinuierlichen Prozess und Ausdruck ihrer ethischen Grundhaltung. Sie unterstützt die Arbeiten von Peter Selg und begrüßt ergänzende wissenschaftliche Studien, wie etwa Anne Sudrows Heil-Kräuter-Kulturen, die die Verflechtungen der Heilpflanzenforschung jener Zeit beleuchtet.

„Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist für uns Teil ärztlicher Selbstverantwortung“, erklärt die GAÄD. „Anthroposophische Medizin gründet auf der Achtung der Menschenwürde und der unveräußerlichen Individualität jedes Menschen. Aus der Geschichte zu lernen, heißt für uns, Menschenwürde, Mitgefühl und Verantwortung in der Gegenwart lebendig zu halten.“