Annette Rausch Ausstellung Fotodokumentation Brustkrebs

Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Burstkrebs

Annette Rausch bekam 2016 ihre erste Brustkrebsdiagnose: C50.9 G - das steht für „Bösartige Neubildung der Brustdrüse, nicht näher bezeichnet", das „G“ bedeutet "gesichert". Es folgten Chemotherapien, Operation und Bestrahlungen. Sie fing an, ihren Körper und seine Veränderungen fotografisch zu dokumentieren. Inzwischen befindet sie sich in ihrer zweiten Erkrankung und hat die Bilder genutzt, um ein Fotobuchprojekt abzuschließen und eine Ausstellung vorzubereiten. Wie sie ihre Diagnose und Behandlungszeit - unter anderem in einem anthroposophischen Krankenhaus, erlebt hat, was sie sich vom Gesundheitssystem wünscht und ob ihre Fotokunst ihr im Genesungsprozess geholfen hat, darüber spricht sie im Interview.

Liebe Frau Rausch, wann haben Sie von Ihrer Diagnose erfahren und was waren Ihre ersten Schritte?

Annette Rausch (AR): Während eines Mammografie-Screenings im Jahr 2016 stellte sich heraus, dass die große Zyste, keine große Zyste, sondern ein Tumor war. Der Tumor war sehr groß und erforderte den sofortigen Start einer Chemotherapie. Bereits eine Woche später ging es los - in Kombination aus einer stationären und ambulanten Behandlung. Zum einen war ich im anthroposophisch orientierten Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und zum anderen in einer onkologischen Praxis. Es gab damals allerdings keine systematisierte Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen. Ich bin nur per Zufall in der Praxis untergekommen, weil ich eine Krankschreibung brauchte.

Chemotherapien bringen starke körperliche Veränderungen mit sich. Diese haben Sie fotografisch dokumentiert. Welche Bedeutung hat das für Sie?

AR: Das Fotografieren hat mich durch diese neun Monate der Chemotherapie, Operation und Bestrahlungen begleitet. Ich habe meinen Zustand immer wieder fotografisch festgehalten und mich von außen angeschaut. Die Hauptmotivation zum Beginn war der Gedanke, das festzuhalten, was ist, um später darauf zurückblicken zu können. In der Gruppe „Fotografie im Prozess“, geleitet von zwei Fotografen, habe ich die entstandenen Bilder vorgestellt und mit den anderen über meine Fotos gesprochen. So ist eine Kombination aus Dokumentation und künstlerischer Auseinandersetzung entstanden.
Das Ich Objekt meiner Fotografie war, ist auch aus purem Pragmatismus entstanden: Ich wollte das Fotografieren in der Zeit nicht aufgeben und andere Fotoprojekte hätten zu viel Kraft gekostet.

Haben Sie durch Ihre fotografische Dokumentation Ihren eigenen Heilungsprozess beeinflusst oder unterstützt?

AR: Das ist eher indirekt passiert. Es war immer eine zusätzliche Perspektive auf mich selbst - eine Reflexionsebene, wie ich das, was ich jetzt erlebe, überhaupt bildlich darstellen kann. Ist es überhaupt bildlich darstellbar? Und es hatte zur Konsequenz, dass ich eine Aufgabe hatte, die mich auch immer wieder abgelenkte.
Aktuell bin ich in der zweiten Brustkrebserkrankung. Auch jetzt nutze ich die fotografische Auseinandersetzung von damals. Dieses Mal in einer anderen Form. Ich bringe die Serie in einem Fotobuch heraus. Die Konzeption der Bildstrecke stammt schon aus der ersten Reha, aber nachdem ich wieder in den Beruf eingestiegen bin, fehlte mir die Zeit.

2021 habe ich beim Aenne-Biermann-Preis eine Auszeichnung gewonnen und konnte meine Bilder in Gera im Museum für angewandte Kunst ausstellen. Das brachte weitere Reflexionsebenen mit sich: Wie gehen Menschen mit solchen Bildern in einer Ausstellung um? Wie ist es, diese ganz private Geschichte öffentlich zu machen? In Gera habe ich die Erfahrung gemacht, dass mich ausschließlich Männer zu diesem Fotoprojekt angesprochen haben. Das macht deutlich, wie angstbesetzt das Thema Brustkrebs ist. Und diese Angst ist bei Frauen natürlich sehr viel näher als bei Männern. Bestätigt haben das Gespräche mit Freundinnen: diese abstrakten und teilweise sehr ästhetischen Bilder können Angst produzieren. Das Ziel, Brustkrebs sichtbar und besprechbar zu machen, hat mich motiviert auch für Berlin eine Ausstellungsmöglichkeit zu finden und das Buchprojekt abzuschließen.

Können Sie uns etwas über Ihre Erfahrungen mit den vielen Chemotherapien erzählen? Fühlten Sie sich nach der Diagnose gut begleitet?

AR: Ich bin vergleichsweise gut durch diese gesamte Zeit gekommen. Durch das extrem schnelle Wachstum des Tumors hat die Chemo sehr schnell angeschlagen. Das war psychologisch ein großer Vorteil und manche Dinge waren dadurch leichter zu ertragen. Ich habe den politischen Anspruch informierte Entscheidungen zu treffen, selbst angewendet, mich umfassend informiert und einige Entscheidungen z.B. gegen die Antihormontherapie getroffen, die nach der ersten Behandlung empfohlen wurde. Von der ersten Chemotherapie wusste ich, dass mich bestimmte Nebenwirkungen sehr gestört haben. Beispielsweise hat sich mein Geschmack total verändert. Das mag erst einmal nicht schlimm klingen, aber es beeinflusst am Ende stark die Ernährungsweise. Um Nervenschäden zu vermeiden, werden Hände und Füße während der Chemotherapie mit Paclitaxel gekühlt. Das habe ich für mich adaptiert und zur Chemo Eiswürfel mitgebracht und gelutscht, um meine Geschmacksnerven zu schonen.

Ich würde mir wünschen, dass es in dieser Hinsicht mehr Unterstützung für betroffene Frauen gibt z.B. durch das Angebot von Lots:innen. Darüber hinaus ist zentral wie Ärzt:innen kommunizieren. In der Mammografie-Screening-Einheit hatte ich beispielsweise eine Ärztin, die mich wenig aufklärte, mir aber ihre Ängste um eine Freundin, die einen ähnlich großen Tumor wie ich hatte, „überstülpte“.

Sie haben sich im Brustzentrum am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe behandeln lassen. Wie sind Sie auf die Anthroposophische Medizin aufmerksam geworden?

AR: Ende 2002 habe ich angefangen bei Biggi Bender zu arbeiten. Sie war damals gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Sie ist aus Baden-Württemberg, wo die Anthroposophie stark verankert ist. So bin ich mit der Anthroposophischen Medizin und deren Ansätze in Kontakt gekommen. Als ich dann bei Kordula Schulz-Asche arbeitete, die in der grünen Bundestagsfraktion das Pflegethema auf ihrer Agenda hatte, haben wir gemeinsam das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe besucht, weil dort die Pflege, anders als in den meisten Krankenhäusern, in die Leitung des Krankenhauses eingebunden ist.

Wie haben Sie Ihre Behandlung erlebt?

AR: Das, was die Anthroposophische Medizin ausmacht, ist ja, dass sie aufbauend auf die „Schulmedizin“ zusätzliche Methoden anwendet. Im zertifizierten Brustzentrum mit seinen Tumorkonferenzen, habe ich die klassischen Standardtherapien bekommen. Dazu kam die Stärkung des Immunsystems durch die Mistel. Besonders positiv im Krankenhaus erlebte ich, dass Wert auf gutes Essen gelegt wurde, die Räume farblich gestaltet waren, es nicht nach Krankenhaus roch und es kreative Angebote gab – das macht viel aus. In Erinnerung ist mir auch geblieben, dass ich nach einer Operation eine Rückenmassage bekam, um Verspannungen zu lösen, die eine Operation hervorruft. Dass das Gesamtbefinden des Menschen in den Blick genommen wurde, fand und finde ich sehr gut.

Inwiefern haben Sie von der anthroposophischen Herangehensweise in Bezug auf Ihre Gesundheit profitiert?

AR: Das kann ich gut am Beispiel meiner Reha beschreiben. Diese fand in Schloss Hamborn statt. Eigentlich wollte ich schnell wieder Arbeiten. Aber in der Reha habe ich gelernt, mir bewusst zu machen, dass ich durch einen schweren Prozess gegangen bin. Ich konnte dort zur Ruhe kommen - „runterfahren“ und akzeptieren noch nicht wieder arbeitsfähig zu sein. Ich habe dort zum Beispiel den Mittagsschlaf mit einem Leberwickel schätzen gelernt.

Um ehrlich zu sein, gab es auch einige Dinge, die mich irritierten. Beispielsweise habe ich Heileurythmie gemacht und hier viele Elemente aus Qi Gong und Tai Chi wiedergefunden. Solche Ursprünge und Bezüge sollte die Anthroposophie deutlich machen. Ebenso, dass nicht alles auf Rudolf Steiner zurückgeht und damit die Frauen, die die Eurythmie oder Misteltherapie entwickelt haben, faktisch unter den Tisch fallen. Ebenso fehlt mir eine zeitgemäße Weiterentwicklung – da schien viel konserviert zu werden, statt es fortzuentwickeln.

Was wünschen Sie sich für Menschen mit einer ähnlichen Diagnose wie Ihrer von unserem Gesundheitssystem?

AR: Ich wünsche mir, dass es auch für andere Erkrankungen zertifizierte Zentren nach dem Vorbild der Krebszentren gibt. Die stehen für eine hohe Qualität der Behandlung. Patientinnen und Patienten können dadurch sehr leicht gute Einrichtungen erkennen.

Eine neutrale und hochwertige Beratung ist so wichtig! Ich habe mitbekommen, wie meine Mutter und Schwester in einer humangenetischen Praxis fachlich unterirdisch beraten wurden. Ich rate allen, lieber weite Wege in Kauf zu nehmen, um gute Spezialist:innen zu besuchen, als einfach in die nächstgelegene Praxis bzw. das Krankenhaus zu gehen.

Aus Erzählungen weiß ich, dass beim Thema „Brustaufbau“ häufig keine neutralen Aufklärungsgespräche geführt werden und Frauen sich zu einer brustaufbauenden OP gedrängt fühlen, auch wenn es hier viele Risiken gibt. Frauen brauchen alle nötigen sachlichen Informationen und Zeit, sich für ihren Weg zu entscheiden!
Was ich als dringend notwendig sehe, sind bei schweren Erkrankungen Lots:innen durch das System. Wo diese angegliedert ist zunächst egal - ob über die Krankenkasse, das Krankenhaus oder die onkologische Praxis. Als Betroffene erlebt man gerade am Anfang eine große Überforderung. Da wären Personen gut, die aufzeigen, woher man gute und fachliche Informationen bekommt oder welche Selbsthilfegruppen es gibt. Es braucht Menschen, die da und kompetent sind!
Zusammengefasst: Das System muss viel mehr aus der Sicht der Patientinnen und Patienten gedacht werden, um ihnen gut zu helfen und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Digitale Eindrücke der Ausstellung auf Instagram unter annetterausch.de. Das Fotobuch kann » hier bestellt werden.

Bildnachweis: Das Bild wird uns zur Verfügung gestellt von c.b.Berlin. Entstanden ist es bei der Ausstellungseröffnung Anfang Juni 2023. Annette Rausch ist ganz links im Bild.

(22. Juni 2023)